Seit nunmehr zwei Jahren ist das Gendern in Deutschland ein heiß diskutiertes Thema, das die öffentliche Meinung polarisiert und die Gesellschaft in unterschiedliche Lager teilt. Während einige das Gendern als wichtigen Schritt hin zu einer geschlechtergerechteren Sprache und Gesellschaft sehen, lehnen andere es als überflüssige oder gar störende Veränderung der Sprache ab. Doch warum hat sich das Thema so stark in den Vordergrund geschoben, und was genau macht es so kontrovers?
„Sprache ist ein lebendiges System, das sich verändert. Gendergerechte Sprache ist Teil dieses Wandels, der notwendig ist, um soziale Gleichheit zu erreichen.“ – Anja Reschke (Journalistin)
Ursprünge und Zielsetzungen des Genderns
Das Gendern zielt darauf ab, sprachliche Strukturen zu schaffen, die alle Geschlechter gleichermaßen sichtbar machen. Der Hintergrund dieser Bemühungen liegt in der historischen Entwicklung der deutschen Sprache, die stark männlich dominiert ist. Traditionell werden generische Maskulina verwendet, um Gruppen von Menschen zu bezeichnen, beispielsweise „die Lehrer“ für eine Gruppe von Lehrpersonen, unabhängig vom Geschlecht. Das Gendern setzt hier an und versucht, Frauen, nicht-binäre Menschen und andere Geschlechter sprachlich mit einzubeziehen. Die gebräuchlichsten Formen des Genderns im Deutschen sind:
- das Gendersternchen („Lehrer*innen“)
- der Gender-Doppelpunkt („Lehrer:innen“)
- der Gender-Gap („Lehrer_innen“)
Diese Formen sollen symbolisieren, dass es neben männlichen und weiblichen Geschlechtern auch weitere Identitäten gibt. Insbesondere in öffentlichen Institutionen, Universitäten und Medien hat das Gendern in den letzten Jahren vermehrt Einzug gehalten. Das Gendersternchen (*) hat sich dabei als eine der am häufigsten genutzten Schreibweisen etabliert, um die Vielfalt der Geschlechter sprachlich abzubilden.
Vor- und Nachteile beim Gendern
Sprachliche Gerechtigkeit
Befürworter des Genderns argumentieren, dass Sprache die Realität beeinflusst und dass durch eine geschlechtergerechte Sprache bestehende Ungleichheiten aufgedeckt und abgebaut werden können. Studien zeigen, dass die Wahrnehmung von Berufen und gesellschaftlichen Rollenbildern stark durch Sprache geprägt ist. Wenn beispielsweise immer nur von „Ärzten“ die Rede ist, wird automatisch ein männliches Bild im Kopf der Rezipienten erzeugt. Durch die Verwendung von gendergerechter Sprache könnten somit Geschlechterstereotype aufgebrochen und eine größere Gleichberechtigung gefördert werden.
Ein weiterer Vorteil des Genderns liegt in der Sichtbarmachung von Frauen und nicht-binären Personen. Das Gendern zwingt dazu, sich bewusst mit Geschlechterfragen auseinanderzusetzen und fördert somit eine inklusive Gesellschaft. Gerade in öffentlichen Dokumenten und in der Bildung spielt das Gendern eine wichtige Rolle, um jungen Menschen ein differenziertes und respektvolles Verständnis von Geschlecht und Identität zu vermitteln.
Verständlichkeit und Lesbarkeit in Gefahr?
Auf der anderen Seite gibt es auch Kritikpunkte, die oft in der öffentlichen Debatte genannt werden. Kritiker des Genderns argumentieren, dass die neuen Sprachstrukturen die Verständlichkeit und Lesbarkeit von Texten erschweren. Gerade Menschen mit Leseschwächen oder Deutschlernende könnten durch das Gendern überfordert werden. Ein weiteres Argument ist die Künstlichkeit der neuen Sprachformen, die als nicht natürlich empfunden und oft als störend wahrgenommen werden. Einige Sprachwissenschaftler warnen zudem davor, dass das übermäßige Gendern die Sprache unnötig verkompliziert und die Kommunikation erschwert.
Ein praktisches Beispiel zeigt die Komplexität des Genderns. So wird der Satz „Der Arzt, der Lehrer und der Ingenieur waren auf der Konferenz“ gegendert zu „Die Ärzt*innen, die Lehrer*innen und die Ingenieur*innen waren auf der Konferenz“. Hierbei wird deutlich, dass die Verständlichkeit des Satzes für manche Leser leidet. Für Kritiker ist dies ein Beispiel für die mögliche Überfrachtung der Sprache.
Hier einige weitere humorvolle Beispiele für besonders komplexe gegenderte Sätze:
- Als der/die Architekt*in die Pläne für das neue Gebäude dem/der Bauherr*in vorstellte, musste der/die Bauleiter*in sowohl das Feedback von der/dem Kund*in als auch von den anderen beteiligten Gewerken berücksichtigen
- Wenn die/der Hausmeister*in die/den neuen Reinigungsspezialist*in einweist, muss sie/er darauf achten, dass sowohl die/der Personalverantwortliche als auch die/der Gebäudeverwalter*in die genauen Aufgaben und Reinigungsprozeduren verstehen
Spaltung der öffentlichen Meinung
Die öffentliche Meinung zum Gendern ist in Deutschland gespalten. Während jüngere Generationen und akademisch gebildete Bevölkerungsschichten dem Gendern tendenziell offener gegenüberstehen, zeigen Umfragen, dass ein großer Teil der Bevölkerung das Gendern ablehnt oder ihm kritisch gegenübersteht. Insbesondere konservative Kreise und ältere Menschen sehen im Gendern eine unnötige Sprachreform, die keinen wirklichen Nutzen bringe. Aber auch Menschen mit Migrationshintergrund, wie dem Talahon, stehen dem Gendern generell eher ablehnend gegenüber.
Laut einer aktuellen repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey lehnen etwa 80% der Deutschen das Gendern per se ab, wobei nur 14% es unterstützen und 6% unentschlossen sind.
Die Medienlandschaft spiegelt diese Spaltung wider. Während einige Zeitungen und Sender das Gendern konsequent umsetzen und ihre Redaktionsrichtlinien entsprechend angepasst haben, verzichten andere bewusst darauf und positionieren sich gegen den Trend. Es gibt zudem zahlreiche Prominente und Influencer, die sich entweder für oder gegen das Gendern stark machen, was die Debatte weiter anheizt.
Gendern im Kontext der feministischen Bewegung
Das Gendern steht in engem Zusammenhang mit der feministischen Bewegung, die sich seit Jahrzehnten für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzt. Viele Feministinnen sehen das Gendern als ein wichtiges Werkzeug, um patriarchale Strukturen in der Sprache zu durchbrechen und damit einen Beitrag zur Emanzipation der Frauen zu leisten. Historisch gesehen war Sprache immer ein Mittel, um Machtverhältnisse zu manifestieren, und das Gendern wird als ein Schritt gesehen, um diese Verhältnisse zu hinterfragen und zu verändern.
Jedoch gibt es auch innerhalb des Feminismus unterschiedliche Auffassungen zum Gendern. Während einige den Sprachwandel als essenziell betrachten, sehen andere ihn als symbolische Geste, die wenig Einfluss auf die tatsächlichen Lebensverhältnisse der Frauen habe. Sie argumentieren, dass die wirkliche Gleichstellung auf politischer und ökonomischer Ebene erkämpft werden müsse und dass das Gendern eher eine Ablenkung von diesen grundlegenden Zielen sei.
Zukunft des Genderns
Sprachliche Weiterentwicklung
Die Zukunft des Genderns in Deutschland hängt maßgeblich von der gesellschaftlichen Akzeptanz ab. Während sich das Gendern in einigen Bereichen – insbesondere in der akademischen und öffentlichen Verwaltung – bereits etabliert hat, ist die Akzeptanz in der breiten Bevölkerung noch ungewiss. Eine entscheidende Frage wird sein, ob sich das Gendern als feste Komponente der deutschen Sprache durchsetzen kann oder ob es als vorübergehende Erscheinung betrachtet werden wird.
Historisch betrachtet hat sich die deutsche Sprache immer wieder verändert und weiterentwickelt, und dabei wurden oft auch neue Regeln und Normen eingeführt, die zunächst auf Widerstand stießen. Ein Beispiel dafür ist die Rechtschreibreform von 1996, die ebenfalls zu intensiven Debatten führte, sich letztlich aber durchsetzte. Ob das Gendern einen ähnlichen Weg gehen wird, hängt davon ab, wie sich der öffentliche Diskurs entwickelt und ob sich eine breite gesellschaftliche Akzeptanz durchsetzen kann.
Ein Szenario könnte sein, dass das Gendern in einigen Jahren als selbstverständlich gilt und sich in die Alltagssprache integriert hat. Ein anderes Szenario wäre, dass das Gendern zunehmend auf bestimmte Kontexte, wie offizielle Dokumente und akademische Texte, beschränkt bleibt, während die Alltagssprache weiterhin überwiegend generische Maskulina verwendet. Diese Entwicklung wird stark von der Sprachpraxis der Medien, der Bildungseinrichtungen und der öffentlichen Institutionen abhängen.
Gendern als Teil der Sprachpolitik
Die Frage, ob und wie das Gendern in der deutschen Sprache verankert werden soll, ist nicht nur eine sprachliche, sondern auch eine Sache der Politik. In den letzten Jahren haben verschiedene politische Akteure das Thema aufgegriffen und unterschiedliche Positionen dazu bezogen. Während Parteien wie Bündnis 90/Die Grünen und die Linke das Gendern aktiv unterstützen und in ihren Programmen verankern, sehen konservative Parteien wie die CDU/CSU das Gendern eher kritisch.
Die politische Diskussion um das Gendern geht oft über die rein sprachliche Ebene hinaus und berührt grundsätzliche Fragen der Gleichstellung und der gesellschaftlichen Werte. Befürworter argumentieren, dass das Gendern ein wichtiger Schritt hin zu einer gerechteren Gesellschaft ist, in der alle Geschlechter gleichberechtigt und sichtbar sind. Gegner hingegen sehen darin eine unnötige ideologische Bevormundung und einen Eingriff in die Freiheit der Sprache.
Ein politisch brisantes Thema ist die Frage, ob das Gendern gesetzlich geregelt werden sollte. Bisher gibt es in Deutschland keine verbindlichen gesetzlichen Vorgaben zum Gendern, und die Entscheidung darüber, ob und wie gegendert wird, liegt in der Verantwortung einzelner Institutionen und Unternehmen. Es ist jedoch denkbar, dass in Zukunft verstärkt politische Forderungen nach einer gesetzlichen Regelung laut werden, beispielsweise durch:
- Quotenregelungen: Einführung von Quoten, die bestimmte Anteile gegenderter Sprache in offiziellen Dokumenten und Medien vorschreiben.
- Vorgaben für öffentliche Texte: Verpflichtung von Behörden und öffentlichen Institutionen zur Anwendung gegenderter Sprachformen in allen offiziellen Texten.
- Medienrichtlinien: Erlass von Richtlinien für die Medienberichterstattung, die eine gendergerechte Sprache vorschreiben.
- Bildungsvorschriften: Aufnahme von Genderneutralität in die Lehrpläne und Richtlinien für Schulen und Universitäten.
- Unternehmensrichtlinien: Gesetzliche Anforderungen für Unternehmen, geschlechtergerechte Sprache in internen und externen Kommunikationsmitteln zu verwenden.
Diese möglichen Regelungen könnten weitreichende Auswirkungen auf die sprachliche Praxis und die gesellschaftliche Diskussion über Gendergerechtigkeit haben.
Katalysator für soziale Veränderungen?
Abseits der sprachlichen und politischen Dimensionen hat das Gendern auch tiefgreifende gesellschaftliche Auswirkungen. Eine der zentralen Fragen ist, inwiefern das Gendern dazu beitragen kann, gesellschaftliche Machtverhältnisse zu verändern und Geschlechtergerechtigkeit zu fördern. Die Befürworter sehen im Gendern ein Werkzeug, um patriarchale Strukturen zu hinterfragen und aufzubrechen. Durch die Sichtbarmachung aller Geschlechter in der Sprache könnten Vorurteile und Diskriminierungen abgebaut und eine inklusivere Gesellschaft gefördert werden.
Ein anschauliches Beispiel für die gesellschaftliche Relevanz des Genderns findet sich im Bildungsbereich. Schulen und Universitäten, die konsequent gendergerechte Sprache nutzen, leisten nicht nur einen Beitrag zur Wissensvermittlung, sondern auch zur Förderung von Werten. Die Auseinandersetzung mit geschlechtergerechter Sprache kann dazu beitragen, das Bewusstsein für Diversität und Gleichberechtigung zu stärken und langfristig gesellschaftliche Normen und Werte zu verändern. Besonders auffällig ist dieser Trend beim sogenannten „Hipster“, der mittlerweile einen bedeutenden Teil in akademischen Einrichtungen ausmacht. Für viele Hipster, die sich für progressive Themen und soziale Gerechtigkeit einsetzen, ist gendergerechte Sprache ein wesentlicher Ausdruck ihres Engagements für eine inklusive Gesellschaft.
Dennoch gibt es auch hier kritische Stimmen, die argumentieren, dass das Gendern alleine nicht ausreicht, um tief verwurzelte gesellschaftliche Ungleichheiten zu beseitigen. Sie betonen, dass Sprache zwar ein wichtiges Werkzeug zur Bewusstseinsbildung sei, die tatsächliche Gleichstellung jedoch vor allem durch strukturelle und politische Maßnahmen erreicht werden müsse. Das Gendern könne daher nur ein Teil eines größeren Prozesses sein, der auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Veränderungen erfordert.
Politische und ideologische Hürden beim Gendern
Trotz der positiven Aspekte und der potenziellen Vorteile des Genderns bleibt der Weg zur breiten Akzeptanz eine echte Herausforderung. Warum? Hier sind einige der zentralen Widerstandspunkte:
- Spaltung der öffentlichen Meinung: Viele Menschen fühlen sich durch das Gendern bevormundet. Sie empfinden es als künstlich oder unnötig und lehnen es deshalb ab. Diese Ablehnung ist oft eng mit politischen und ideologischen Überzeugungen verknüpft, was die Diskussion zusätzlich kompliziert macht.
- Praktische Umsetzung: Besonders in der mündlichen Kommunikation kann es knifflig sein, gendergerechte Formen konsequent zu verwenden. Man will schließlich, dass die Verständlichkeit nicht auf der Strecke bleibt. Außerdem gibt es immer noch viele Unsicherheiten darüber, welche Form des Genderns in welchem Kontext passend ist. Das führt zu einer uneinheitlichen Anwendung.
Deshalb ist es wahrscheinlich, dass das Gendern auch in den kommenden Jahren ein umstrittenes Thema bleibt. Es wird weiterhin Debatten auslösen und die Gesellschaft spalten.